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Einklang und Trennung
Wie sehr sehen wir uns Menschen nach einem „Gott“ – einer Mutter, einem Vater -, der für uns sorgt, uns vor Leid bewahrt, unser irdisches Dasein beschützt. Sicher, Mutter Erde schenkt uns vieles im Leben. Ohne sie wären wir verloren. Aus ihrer Substanz bildet sich unser Körper. Aus ihren Früchten ernähren wir uns. Ihr Wasser trinken wir. Ihre Luft atmen wir.
Und doch leiden wir Mangel. Denn je mehr wir unsere Wirklichkeit selbst gestalten, die Erde bearbeiten und nutzen, desto stärker wir Zuständigkeit und Verantwortung übernehmen, verlieren wir ihre Versorgung und sind auf uns selbst gestellt. Die Erde zwingt uns, wollen wir uns entwickeln und wachsen, zur Arbeit für unser Überleben.
Vater Himmel schenkt uns die Fähigkeit, die Welt zu verstehen. Wir finden uns zurecht in ihr. Darüber werden wir immer mehr Individuum und bauen unsere eigene Wirklichkeit. Fortwährend entdecken wir Neues, erfinden Hilfsmittel für unser Leben. Trennen uns vom Vater Himmel. Tiefgreifende Irrtümer begleiten uns in diesem Prozess.
Und dann klagen wir, dass „Gott“ nicht für uns sorgt, sondern unsägliches Leid zulässt. Denn wir haben unsere eigenen Werte erschaffen, unseren eigenen Willen entdeckt und dies sagt uns: Die Welt sollte für uns eine andere sein, als sie sich zeigt. Hat „Gott“ versagt? Solche Zweifel begleiten uns und mögen zur Konsequenz haben, seine Existenz abzustreiten.
Aber ist es nicht so, dass wir Menschen das „Menschliche“ in die Welt bringen müssen? Das uns die Schöpfung das aufgetragen hat. Können wir uns bei der Schöpfung beklagen, dass sie uns diese Aufgabe nicht abnimmt und wir autonome Individuen, die gestalten, werden?
Es liegt auch der Impuls in uns als von „Gott“ getrennte, sich selbst wahrnehmende Individuen, die Schöpfungskräfte, die unser Gut und Schlecht nicht kennen, in ihrer ursprünglichen – ja unmenschlichen – Kraft zu leben. Den Kreislauf des Lebens, der auf Erden steter Wandel ist, in dem die eine Lebensform in die andere übergeht, die das einzelne Wesen nicht hervorhebt, sondern allein dem Ganzen dient, erhalten wir auf solche Weise. Doch Rücksicht hinsichtlich der allein auf einzelne Menschen bezogenen Bedürfnisse, Ängste, Wünsche kennt dieses Handeln nicht. Töten und Sterben gehört in diese Welt. Allerdings: Dem widersprechen wir, solange es uns möglich ist, wenn wir in uns spüren, unseren individuellen Beitrag zur Welt, in der unsere Vorstellung von richtig und falsch gilt, leisten zu möchten.
Es ist eine große Aufgabe, die der Mensch als Teil der Schöpfung zu tragen hat. Er leidet, weil er wahrnimmt und Bewusstsein (inneres Erleben) ausbildet. Und er erkennt, dass die Welt nach anderen Gesetzen funktioniert, als er sie sich wünscht. Nur wenn er sich als Teil der Schöpfung sieht und sich vollkommen eingliedert, findet das Leid ein Ende. Oder: Wenn er eine Welt erschafft, die Leid und Not verringert. Das ist ihm ein Ziel. Allein, da er auf diesem Weg Individuum wird, verstrickt er sich in Egoismus – als Einzelner und als Kollektiv.
In dieser Novelle berichtet Ninhursanga von der Welt des Einklangs mit der Schöpfung und Chris von der Trennung.