Leseprobe: Welle des Olymp

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Leseprobe

Ruinen eines Tempels dem Gott Appollon geweiht auf Zypern

Die Welle
Diese zurückliegenden Jahre mit all ihren Freuden und Schmerzen, Verstrickungen und dem Wandel sind in Bernhard wieder lebendig geworden, während er im blau schimmernden Meer schwimmt. Er lässt sich auf dem Rücken liegend im Wasser treiben und erinnert sich an das vergangene Geschehen, seinen langen Weg, der ihn nun hierher in jene kleine Ortschaft am Fuße des Olympgebirges führte. Hell scheint die Sonne und ihre Strahlen brechen sich glitzernd auf der Wasseroberfläche. Bernhard muss die Augen zusammenkneifen, will er in die Ferne schauen.
Das tiefe Grollen, welches Bernhard wahrnahm, ist verklungen. Wie ein Signal weckte es ihn. Er ahnt eine tiefere Bedeutung und sein Empfinden schwankt zwischen Erwartung und Furcht. Als wäre er aus einem Traum erwacht, betrachtet Bernhard die Umgebung. Es scheint ihm, als bewege sich das Wasser vom Ufer weg und lasse ihn hin zu den Fischerbooten driften, die gleichmäßig schaukelnd vor der Küste bei einer Sandbank ankern. Er spürt sandigen Boden unter den Füßen und einen Sog, der ihn ins offene Meer zieht. Bernhard stemmt seine Beine gegen die stärker werdende Strömung. Sein Blick geht zum Gipfel des Olymp, der im Hintergrund aufragt, den Sonnenschirmen am Strand und den dahinter liegenden Hotels. Er muss sich an der Ankerkette eines Fischerbootes festhalten, um nicht weiter ins offene Meer gezogen zu werden.
Bernhard verwundert das Geschehen und zugleich erstaunt ihn auch die fehlende Beachtung, mit der er die ungewöhnlichen Vorgänge betrachtet. Er muss sich geradezu wecken, um Anteil zu nehmen. Warum zieht sich das Meer zurück?, fragt er sich dann. Was mag dies bedeuten? Ein wenig Furcht erfasst ihn! Soll ich an Bord des Fischerbootes klettern? Noch zögert er, verunsichert über das, was sich ereignet. Die Oberfläche des Meeres liegt ruhig vor ihm und zugleich strömt das Wasser machtvoll weg vom Land! Der Himmel – blau und unendlich. Die Götter! Er fühlt sich ihnen nahe.
Uranos, der Urvater unserer Welt, kommt Bernhard in den Sinn. Der große alte Gott, der Schöpfer des Sternenhimmels, war er der Begründer des Grollens?
Plötzliche und völlig überraschende Veränderung kündigt Uranos an. Ein Raum für Neues tut sich auf! Bernhard denkt an die alten Mythen. Gaia, die Erde, steht an ihrem Anfang. Sie trägt im Angesicht ihrer Bestimmung, was Teil ihrer selbst war, nach außen. Sie kann nicht anders als fruchtbar sein. So beginnt der Mythos. Gaia gebiert, was dunkel in ihr wohnt: den Sternenhimmel, Uranos, damit er erstrahle und die Welt gestalte. Und Uranos zeigt sich als Gleichnis der Erde selbst. Gerade geboren liegt er auf Gaia – bedeckt sie ganz. Er weilt bei seiner Erschafferin, um ihrem Schöpfungsauftrag zu dienen. Erde und Himmel sind fest vereint und Uranos ergießt sich in einem fort in Gaias Schoß, zeugt das neue Sein, das nun ihrer Vereinigung entspringen soll. Verzweifelt sucht Gaia zu gebären, was in ihr gewachsen ist. Es will nicht gelingen, solange der Himmel sie eng bedeckt. Es fehlt der Raum für das Werdende, die Zeit für sein weiteres Wachstum.
Während Bernhard tief in seine Welt der Mythen eintaucht, sich fest an die Ankerkette klammert und der Strom des Wassers an ihm zieht, meint er, geradezu körperlich zu spüren, wie sich in Gaia Leben entwickelt und sie dieses mit aller Macht in die Welt zu bringen sucht. Doch ihr fehlt der Raum. Sie muss sich gegen diese Beengung wehren, denkt Bernhard. Sie muss einen Weg finden, um ihre Kinder, die Titanen, Kylopen und Hekatoncheiren, die im Dunkeln ihres Körpers hausen, in die Freiheit zu entlassen.
Gaia beschwört ihre ungeborenen Kinder, gegen ihren Vater zu rebellieren, sich gegen die Begrenzung zu stellen und sie zu sprengen. Doch allein Kronos, der Titan, schreitet zur Tat. Mit der Sichel aus weißem Stahl, die ihm Gaia übergibt, in der rechten Hand packt er mit der linken das Geschlecht seines Vaters und mit einem kräftigen Schnitt trennt er es ab.
Bernhard stöhnt innerlich auf, als ihm dieses Bild vor Augen tritt. Er vergisst den Strom, der ihn ins offene Meer zu ziehen sucht während sich die Beine mit Kraft stemmen Beine in den Sand. Er will aus seinem Wachtraum entfliehen, gleichwohl gelingt es ihm nicht. Solch eine Tat muss Konsequenzen nach sich ziehen. Empörung steigt in ihm auf, als sich die Fortsetzung der Geschichte in seinem inneren Erleben formt.
Voller Schmerz bäumt sich Uranos auf. Er flieht fort vom Ort des erlittenen Unheils, der Erde, hin zum äußersten Rand der Wirklichkeit und begründet in diesem Tun den fernen Sternenhimmel. Nun ist der freie Raum geschöpft – etwas, das zuvor undenkbar war. Gaia gebiert ihre Kinder in diese soeben erschaffene Welt. Eine neue Zeit bricht an und Kronos, der Rebell gegen seinen Vater, wird ihr Herrscher. Uranos hat gezeugt, was durch ihn in die Welt zu bringen war. Der Generationenwechsel wurde begründet. Die Zeit lernte zu laufen. Die Polarität ist erschaffen: Himmel und Erde stehen sich getrennt und voller Spannung gegenüber. Materie und Geist wurden Gegensätze, die einander in gegenseitiger Anziehung rufen.
Viel später werden die Menschen ihren Platz als Wesen der Erde, die ebenso vom Himmel stammen und zu ihm streben, einnehmen. Dann gelten für sie die Gegebenheiten von Raum, Zeit, Herrschaft, Rebellion, Freiheit, Fruchtbarkeit, Wachstum und Entwicklung. Der Sternenhimmel steht über ihnen und erinnert sie an den Ursprung ihrer Herkunft. Sie sind Kinder der Erde und des Himmels.
Bernhard schreckt aus seinen Gedanken auf: Der Sog ins offene Meer hat an Kraft zugenommen. Seine Hände umklammern weiterhin die Ankerkette, die vom kräftigen Zug des Fischerboots, welches zum offenen Meer strebt, schräg aus dem Wasser ragt. Angst    erfasst ihn!
Er steht auf der Sandbank im Meer, die vor wenigen Minuten noch weit unter ihm lag. Sein Körper ist angespannt. Da plötzlich wie aus dem Nichts sieht er sie heranrollen – majestätisch erhaben, unaufhaltsam und ohne Erbarmen. In Kürze wird mich die Welle erfassen, von den Beinen reißen und mit dem aufgewühlten Meer forttragen, schießt es ihm durch den Kopf. Jede Anstrengung, dass dies nicht geschehe, wird vergeblich sein. Die Welle nähert sich mit großer Kraft. Ich kann nicht ausweichen – nicht fliehen gegen den Sog des Wassers. Die gewaltige Woge wird mich erfassen!

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 Welle des Olymp Kapitel 1

 

»Ihr Menschen sollt verstehen«, spricht die älteste Schicksalsgöttin. »Das Ziel des Lebens liegt nicht im Wohlbefinden, so erstrebenswert euch dieses auch scheinen mag. Die Antwort des Schicksals auf die Fragen des Lebens ist selten willkommen. Jedoch, es geht um Wachstum!«
»Unsere Frage an euch lautet in jedem Augenblick eures Seins: Habt ihr gelernt, was es zu lernen galt?«, bemerkt die Zweitälteste.
»Habt ihr beide, Britta und Bernhard, in euch Anerkennung und Akzeptanz, Harmonie und Verständigung gefunden?«, ergänzt die Jüngste die Worte der anderen.
Aus: Die Welle des Olymp

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